Kapitel elf

»Was jetzt?« fragte Blaine seinen getreuen Ekkehard in der Abgeschiedenheit des präsidialen Schlafgemachs. Sein Tonfall ließ erkennen, daß er sich ernsthaft zu fragen begann, ob von seiner bevorzugten Einheit ein brauchbarer Rat zu erwarten war. »Was zur Hölle fange ich mit ihr an?« Er stieß den Finger ruckartig in die Richtung der First Lady. Sie saß auf ihrem gewohnten Platz, dem Beobachtungsstuhl neben dem Bett. »Behalten kann ich sie nicht, aber wenn ich sie Locke übergebe, wozu ich nach der Vereinbarung verpflichtet bin, findet er heraus, daß sie zensiert ist.«

»Also?« Andro lag tief in Relaxo neben ihm auf dem Bett. Er war nackt bis auf die Unterhose, die herunterzuziehen Blaine eben im Begriff gewesen war, als die plötzliche Angst ihn überfiel.

»Also?! Also wird jeder erfahren, daß sie einen IZ hatte, schon an dem Tag, als sie in Kommerz eintraf. Also ist meine letzte Verteidigung zum Teufel, daß ich nichts davon gewußt habe. Also muß ich zurücktreten oder werde wegen Hochverrats angeklagt.«

»Hmmm. Daran habe ich nicht gedacht«, lautete Andros lakonische Erwiderung, während er sich an der Schnalle von Blaines Sicherheitsgürtel zu schaffen machte.

»Mach keine Witze. Du weißt, daß der IZ entfernt werden muß und das First Lady-Programm gelöscht, bevor ich sie aus der Hand geben kann. Aber ich kann sie nicht heimlich in die Klinik schaffen lassen, wegen der gottverdammten Mediasatelliten über Kommerz. Deren Linsen sind scharf genug, um die Haare an einem Flohhintern zu erkennen.«

»Dann laß sie herunterschießen.«

»Damit die TWAC einen Grund hat zu intervenieren? Darauf warten die nur, besonders seit meiner Attacke gegen die Handelsrouten. Noch irgendwelche genialen Vorschläge?«

Andro streckte sich auf dem Rücken aus, legte die Hände hinter den Kopf und schaute zu dem mit Spiegeln behängten Betthimmel hinauf. »Es muß einen Ausweg geben. Laß mich nachdenken.«

»Soll das heißen, du hast diese Entwicklung nicht vorausgesehen?«

»Womöglich habe ich den Einfluß der interplanetaren Presse unterschätzt, während ich die Variablen der Wahrscheinlichkeitsmatrix unserer geplanten Strategie kalkulierte.«

»Höre ich recht? Du hast die interplanetare Presse unterschätzt?«

»Das ist eine Herausforderung, nicht wahr? Mein System arbeitet am besten unter Druck. Das bringt meine schöpferischen Säfte in Fluß.«

»Quatsch! Du brauchst einen Programmverstärker.«

Erschreckt richtete Andro sich auf. »O nein, Gebieter. Das ist ganz und gar nicht nötig. Noch während wir sprechen, überprüfe ich ein halbes Dutzend Optionen auf ihre Eignung. Laß mir nur einen Moment Zeit.«

Es war schmerzlich, ihn so um eine Eingebung ringen zu sehen. Blaine wurde ziemlich ungeduldig. Der Chef weiß, mit was für einem absurden Vorschlag unser gehandicapter Stratege schließlich herausgerückt wäre, hätte nicht ausgerechnet die First Lady sich an diesem Punkt zu Wort gemeldet. »Nun, wenn man die First Lady nicht in die Klinik bringen kann, warum nicht die Klinik zur First Lady bringen?«

»Sie nimmt mir das Wort aus dem Mund, Gebieter. Wir könnten die Geräte als normale Lieferung einschmuggeln und die Techniker als Diplomaten.« Doch im nächsten Atemzug versuchte er, den Einfall als weniger gut hinzustellen, denn die momentane Sackgasse, in der Blaine sich befand, entsprach exakt den Wünschen von ihm, Jug und den Gebietern hinter der Bühne. »Ein Problem. Wenn die Operation ein Erfolg ist, und weshalb sollte sie nicht, dann wird sich alle Welt fragen, weshalb die First Lady all die Jahre freiwillig bei dir ausgeharrt hat.«

»Um zu spionieren, selbstverständlich. Für Smedly. Wir entdecken neues Beweismaterial, das ihn mit Angelika in Verbindung bringt. Ich bin ohnehin überzeugt, daß er hinter allem steckt, nur kann ich es nicht beweisen. Bürokratische Pedanterie. Also fingieren wir Beweise, die ihn, die RAG, die Aquas und die Gattin des Präsidenten zu einer gigantischen Verschwörung verknüpfen. Was hältst du davon, Andro? Der Abschlußbericht der Untersuchungskommission wird konstatieren, daß Smedly meine Frau für seine Ziele gewonnen hat, hinter meinem Rücken – als ich mich im Krankenhaus von den Auswirkungen der Concordia-Tragödie erholte.«

»Aber die Untersuchungen sind noch keineswegs abgeschlossen und werden es so bald auch nicht sein.«

Blaine sprang aus dem Bett und griff sich die dickste Bücherspule, die er auf dem Regal finden konnte. »Jetzt sind sie's«, verkündete er selbstgefällig und hielt den Zylinder in die Höhe, ohne die beschriftete Hülle, an der er zu identifizieren war. »Hier ist der Bericht.«

Andro erwiderte sein Grinsen, aber in Wahrheit mißfiel ihm der Plan: Er klang zu plausibel. Wenn Blaine ihn in die Tat umsetzte, würde der Skandal in einem gänzlich neuen Licht erscheinen. Er wäre aus dem Schneider und Senseis Absichten durchkreuzt. Ohne seine Befürchtungen merken zu lassen, tat Andro das Konzept als amüsant, aber schwerlich durchführbar ab. Niemand würde Smedly die Phantasie zutrauen, einen derartigen Plan auszuhecken, doch selbst wenn, wie hätte er ihn in die Tat umsetzen sollen? Wenn Blaine sich zurückerinnern wollte – wegen seiner Anwesenheit wurde das Krankenhaus damals strengstens bewacht. Für einen Agenten Smedlys wäre es unmöglich gewesen, hineinzugelangen und mit Angelika Verbindung aufzunehmen. Verzagt schaute Blaine zu der First Lady, ob sie einen Vorschlag zu machen hatte. Sie rutschte ein- oder zweimal auf dem Stuhl umher, während sie das Problem überdachte, dann zuckte sie entschuldigend die Achseln. Vor Erleichterung verfiel Andro in einen jovialen, herablassenden Ton. »Glaubst du nicht auch, es wäre klüger, du ließest mich die Strategien entwerfen und begnügtest dich damit, sie auszuführen?«

Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. Blaine explodierte. »Du kannst auch mit keiner besseren Idee aufwarten, oder?! Weißt du was? Ich hätte nicht übel Lust, dich durch einen IBM zu ersetzen! Nein! Ein gottverdammtes menschliches Wesen! Wie gefällt dir das, du wertloses Bündel aus Vegeplasma und künstlich aromatisiertem Sperma?!«

Nie zuvor hatte ich Andro ratlos erlebt, aber da saß er nun, mit offenem Mund. Blaine tobte weiter.

»Du verdammt eingebildetes, arrogantes Stück Vegetation! Fick dich ins Knie! Alles, was du tust, ist, dich hier im Luxus zu aalen und Gedankenspielchen zu betreiben, ohne je die Konsequenzen tragen zu müssen. Nun, damit ist es vorbei, Knackarsch, und mit dir ist es vorbei. Deine Schaltkreise sind aufgeweicht! Du bist verdorben, durch und durch faul, und ich habe schuld, weil ich dich respektiert habe. Liebe und Respekt: das Schlimmste, was man einem Droiden antun kann! Du bist zu nichts mehr zu gebrauchen!«

»Gebieter. Bitte, ich kann immer noch helfen.«

»Nein! Allmächtiger, lieber noch würde ich Ratschläge von Angelika annehmen. Nein! Ihre Vorgängerin würde ich fragen, die wußte, wie man sich aus einer Klemme befreit. Ja, mit diesem entlaufenen Dienstmädchen wäre ich besser bedient – wie hieß sie gleich? Polly!«

»Molly«, entfuhr es Andro gegen seinen Willen.

»Ja?«

Molly II war unabsichtlich aktiviert worden. Andro ließ sie flugs wieder verschwinden, indem er scheinbar verwundert fragte: »Lady Fracass?« Darauf die wieder zum Vorschein gekommene Lady Fracass: »Ja?«

»Sie haben etwas gesagt?« erkundigte sich Andro mit vorgetäuschter Ahnungslosigkeit.

»Habe ich nicht.«

»Doch, hast du«, warf Blaine ein. »Wenn du also etwas in petto hast, heraus damit! Ich kann jeden halbwegs guten Rat gebrauchen.«

»Wüßte ich einen, Liebling, würde ich ihn dir gewiß nicht vorenthalten.«

»Ja, ja, schon gut. Schade. Schade, daß Molly nicht hier ist. Eine neue Perspektive wäre bestimmt hilfreich.«

»Entschuldigen Sie?« Molly II schaute von Blaine, den sie nie zuvor gesehen hatte, zu Andro. Sie war einigermaßen überrascht, sich an einem anderen Ort als seinem Zimmer wiederzufinden, das – abgesehen von dem kurzen Ausflug nach Horizont – ihre gesamte Welt repräsentierte. Sie warf ihrem Liebhaber einen fragenden Blick zu. »Andro?«

»Lady Fracass?«

»Ja?« erwiderte die First Lady, während Molly II verschwand.

»Wollten Sie etwas sagen?«

»Nein.« Angelika wurde ärgerlich. »Warum fragst du?«

»Ich frage nicht.«

»Aber ja.«

»Nur weil Sie mich angesprochen haben.«

»Habe ich nicht.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja. Völlig sicher.«

»Dann verzeihen Sie. Ich muß mich verhört haben.«

Während dieses verwirrenden Dialogs hatte Blaine von einem zum anderen geschaut. Nach kurzem Grübeln murrte er: »Großartig. Sie dreht durch. Das hat uns noch gefehlt.«

»Nein. Sie ist ganz in Ordnung. Nun, wenn du dich beruhigt hast, Gebieter, können wir die Lage diskutieren. Wo waren wir stehengeblieben?«

»Wie wir es anstellen sollen, daß ich im Amt bleibe, falls du es vergessen hast. Mein Gott, Andro, du läßt wirklich nach. Und sie hat einen Defekt! Versuch nicht, es mir auszureden. Sie hat auf den Namen Polly reagiert.«

Diesmal gelang es Andro, sich zu beherrschen. Er drehte den Kopf in ihre Richtung, wie Blaine auch. Angelika erwiderte verständnislos ihrer beider erwartungsvolle Blicke. »Siehst du? Kein Defekt«, sagte Andro erleichtert und lachte sich heimlich ins Fäustchen. »Nicht Polly«, rief Blaine plötzlich aus. »Molly!«

»Das war's nicht!« versuchte Andro der zweiten Molly höfliche und zurückhaltende Antwort zu übertönen.

»Ja?«

»Da!«

»Wo?«

»Hier!«

»Wer? Angelika?«

»Ja?«

»Nein! Molly!«

»Ja?«

»Molly, Molly, Molly!« Blaine sprang aus dem Bett, packte die First Lady an beiden Schultern und starrte ihr triumphierend in die Augen. Erschreckt schob Molly II ihn von sich weg, während sie Andro zur Hilfe rief, der sogleich bei ihr war, um sie zu stützen, denn sie lief Gefahr, vom Stuhl zu fallen. Doch was er sagte, klang alles andere als hilfreich: »Lady Fracass, besinnen Sie sich. Es ist Ihr Gatte, den Sie vor sich haben.« Das Flattern ihrer Lider kündigte einen erneuten Programmwechsel an.

»Blaine, Liebster«, sagte Angelika, während sie von Andro zurückwich und bei ihrem Ehemann Schutz suchte. »Was geht hier vor? Bitte sag Andro, er soll seine Hände von mir nehmen.«

»Nein. Ich bin sogar dafür, das Experiment fortzusetzen, was hinter meinem Rücken zweifellos bereits geschehen ist. Habe ich recht – Molly?«

»Ich bitte um Entschuldigung«, erwiderte Molly II. »Ich glaube, ich hatte noch nicht das Vergnügen.« Wieder schaute sie zu Andro, in der Erwartung, daß er es übernahm, sie bekannt zu machen.

Blaine musterte Andro mit einem wissenden und unheilverkündenden Blick. »Ich hatte schon immer den Verdacht, daß du ihren Part in unserer Ménage à trois eine Winzigkeit zu sehr genossen hast.«

»Gebieter, das stimmt nicht. Ich …«

»Wie lange geht das schon – Molly?«

»Andro, wer ist dieser Gebieter, und was will er? Was soll ich antworten?«

»Angeli-«

Mit einem mörderischen Blick auf seinen Ratgeber donnerte Blaine: »Nicht ein Wort!«

»-ka.« Molly II verschwand. Blaine trat mit geballten Fäusten auf ihn zu.

»Es war nur eine Silbe«, verteidigte sich Andro. Außer sich holte Blaine aus und versetzte ihm einen Schwinger ans Kinn, mit dem einzigen Ergebnis, daß er sich die Hand verletzte, die ihm Jahre zuvor auf der Concordia gebrochen worden war. Sein Diener, der den Hieb nur am Rande zur Kenntnis genommen hatte, kaute derweil auf der Unterlippe und suchte nach einem Ausweg aus dieser verzwickten Situation. Ich möchte behaupten, es war die peinlichste Klemme seiner gesamten Karriere, denn der Erfolg der Sensei-Verschwörung hing davon ab, daß er sich Blaines Vertrauen noch eine Weile länger erhalten konnte. Deshalb war es unbedingt erforderlich, daß ihr früheres Einvernehmen wiederhergestellt wurde, und zwar schnellstens. Mittlerweile schüttelte Blaine vor Schmerz brüllend seine Hand, die nicht so arg verletzt war, wie sein Getue glauben machen sollte. »Kanaille! Hure! Du hast mich betrogen!«

»Ich werde zu Unrecht beschuldigt.«

»Lügner. Du hast sie mir vorgezogen. Einem Mann aus Fleisch und Blut!«

»Wen? Angelika?«

»Ja?«

»Nein!« röhrte Blaine und rief Molly II zurück, von der er einen vollständigen und wahrheitsgemäßen Bericht über ihr Verhältnis mit seinem Stabschef forderte. Molly II entgegnete: »Nach allem, was Andro mir erzählt hat, müssen Sie Präsident Fracass sein. Sie entschuldigen, wenn ich keinen Knicks mache. Ich glaube, Sie sind sehr häßlich zu ihm gewesen.« Sie trat zu Andro und legte schützend den Arm um ihn. Er reagierte mit einem entschuldigenden und verlegenen Lächeln.

»Sie ist nicht die, für die du sie hältst. Ich habe sie erschaffen, wie ich für dich die First Lady erschaffen habe. Ich wollte jemanden ganz für mich allein haben. Ist das ein Verbrechen, Gebieter?«

»Weiter.«

»Ich bin gerne bereit, ihr Programm zu löschen, wenn es dir hilft, dich besser zu fühlen.«

Blaine lachte bitter.

Gleichfalls erzürnt über Andros Anerbieten, rief Molly II: »Wie kannst du das sagen, vor ihm!« Andro versuchte, sie zum Schweigen zu bewegen, aber sie ließ sich nicht beschwichtigen. »Oh, du hast mich hintergangen!« Sie wandte sich an Blaine. »Sie haben keinen Grund zur Eifersucht. Ich bedeute ihm überhaupt nichts, das erkenne ich jetzt. Es ist immer noch die echte Molly, um die es ihm geht, und ich war dumm genug, ihm zu helfen – all das alberne Getue mit dem Kreisel, um den IZ zu entfernen. Und ich habe mit ihm frohmatiert …«

»Angelika!« Andro sah sich gezwungen, den Zorn seines Gebieters zu riskieren und Molly II auszuschalten. Bevor Blaine sie wieder heraufbeschwören konnte, mischte sich eine vertraute Falsettstimme in den Disput. »Laß sie sprechen. Laß die Wahrheit an den Tag kommen. Das zwingt dich hoffentlich, endlich zu handeln!«

»Halt die Klappe!«

»Du wagst es?!« Blaine runzelte die Stirn, ohne sich des neuen Elements in ihrer Runde bewußt zu sein. Mit der unverletzten Hand tastete er nach den zahlreichen Waffengriffen, die aus seinem Gürtel ragten, und zog den Stunner heraus.

»Sprich, Molly, sprich!« befahl Andros Gewissen.

» … frohmatiert, Ihren Sturz und den Wiederaufbau Horizonts!« sagte sie und vollendete damit den Satz, bei dem sie Augenblicke zuvor unterbrochen worden war.

Andro behielt respektvoll den Stunner im Auge. »Etwas habe ich vergessen zu erwähnen, Gebieter. Im Gegensatz zu Angelika (Molly II verschwand) ist mein kleines Divertimente ein absoluter Fehlschlag. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand jemals so viel Ärger mit einem Persönlichkeitsprogramm gehabt hat, wie ich mit dem ihren. In der Abgeschlossenheit meines Zimmers erscheinen ihre kleinen Launen und Schrullen ganz reizvoll, aber sie begreift nicht, welche ernsthaften Auswirkungen sie hier oben haben können. Sie ist nicht verantwortlich für das, was sie sagt.«

»Feigling!« schäumte sein Gewissen. Andro lächelte gequält. »Entschuldige mich einen Augenblick.« Er drehte sich um, legte die Hände auf die Ohren, senkte den Kopf und schüttelte ihn heftig. Ein gedämpfter innerer Dialog wurde hörbar. Blaine allerdings hatte sich im selben Moment abgewandt und verpaßte das faszinierende Schauspiel. Die Ungeheuerlichkeit von Andros Verrat und die Zusammenhänge, die er zu begreifen glaubte – all das war so plötzlich über ihn hereingebrochen, daß er an einem Bettpfosten Halt suchen mußte. Als Andro sein Gewissen an die Leine gelegt hatte und sich wieder zu seinem Gebieter herumdrehte, stockte ihm der Atem, denn mit Blaine war eine merkliche und bedrohliche Veränderung vorgegangen.

»Du«, flüsterte Blaine mit raubtierhaft heiserer Stimme, »du hast mir Hörner aufgesetzt und mich dann ans Messer geliefert. Du und Smedly – ihr habt die ganze Zeit unter einer Decke gesteckt.«

Andro konnte nicht anders als herablassend lächeln über seines Gebieters absurden Gedankengang und das billige Pathos. Eine zweite gravierende Fehleinschätzung. Blaine feuerte den Stunner ab. Die geballte Ladung komprimierter Luft traf Andro wie ein Hammerschlag vor die Brust und schleuderte ihn rücklings auf das Bett. »Geschieht ihm recht«, sagte die First Lady schnippisch und stützte die Hände in die Hüften.

Blaine näherte sich dem Bett. »Wann hat es angefangen, mein kleiner Pfirsich? Wann hat Smedly sich mit dir in Verbindung gesetzt?« Sein Gesprächspartner war zu groggy, um zur Kenntnis zu nehmen, was er sagte: »Geschah es während der Zeit, als du in Horizont vermißt warst? Oder vorher? Vorher, stimmt's? Vor der Concordia-Tragödie, als ich nach Armstrong flog, um mich mit Micki Dee zu treffen, und den Fehler machte, dich zurückzulassen, um ein Auge auf meinen gottverdammten Vizepräsidenten zu haben. Das war der Moment, richtig? Richtig? Ich habe dich etwas gefragt.« Gereizt feuerte er zum zweitenmal, obwohl er wußte, daß Andro nicht in der Verfassung war, ihm zu antworten. Blaine war längst von der Richtigkeit seiner Vermutungen überzeugt und brauchte keine Bestätigung mehr; er wollte Rache. Der Schlag traf Andro an der linken Schulter, als er sich eben aufrichten wollte, und schleuderte ihn auf die Plüschkissen am Kopfende des Bettes.

»Molly?« murmelte Andro schwach, während seine Hände ziellos nach einem Halt tasteten. »Hilfe.«

Mit einer Hand umklammerte Molly II Blaines Arm, bevor er ein weiteres Mal feuern konnte, und griff mit der anderen nach einer der Waffen in seinem Sicherheitsgürtel.

»Angelika!«

»Liebster?« erwiderte die First Lady, verwirrt und erschreckt über ihre gewalttätige Pose.

»Auf deinen Stuhl!« schnappte Blaine, und sie gehorchte unverzüglich. Dann kniete er sich auf das Bett neben seinen halb betäubten und gelähmten Diener und zog ihm an den Haaren den Kopf in die Höhe. »Du bist Smedlys Maulwurf, nicht sie. Du hast ihm alles erzählt, oder? Oh, wie er es genossen haben muß, von unseren intimsten Momenten zu hören! Und von ihr. Du hast ihm verraten, daß sie ein P9 ist, richtig? Du hast ihm geraten, Locke ins Spiel zu bringen, und als das nicht funktionierte, die Hume-Tussi und jetzt die gottverdammte LRA. Oh, du hinterhältiges und verdorbenes Gewächs!«

»Gebieter, ich …« ächzte Andro, während seine Augen glasig zur Decke starrten.

»Du bildest dir ein, der Gebieter zu sein. Du hast mir einen furchtbaren Streich gespielt, falscher und verräterischer Andro. Teufel! Ich werde mich rächen!« Von Zorn übermannt, machte er Anstalten, ihn unter den Kissen zu ersticken.

»Keine guten Ratschläge mehr von dir, mein getreuer Diener!«

»Liebster«, versuchte die First Lady wohlerzogen, seine Aufmerksamkeit zu erregen.

»Stirb, du wetterwendischer und lügenhafter Droide. Stirb!«

»Blaine, vielleicht wäre es klüger …«

»Klappe!«

»Wie Sie wünschen.«

»Verschlagene und grausame Einheit, wir werden sehen, wer hier der Gebieter ist.« Blaine schaute unter die zwei Kissen, die er Andro aufs Gesicht gedrückt hatte. »Atmest du noch?« Er deckte ihm den ganzen Kopf zu und setzte sich auf den Kissenstapel. »Stirb, janusköpfiger Sklave! Stirb!«

Als Andro sich nicht mehr regte, nahm er die Kissen weg und schaute mit tiefer Befriedigung auf seinen exterminierten Stabschef hinab. Doch nicht lange, schon im nächsten Augenblick brach er völlig zusammen und wehklagte, von unermeßlichem Gram geschüttelt: »O Andro! Warum hast du mich gezwungen, das zu tun?«

»Blaine, darf ich etwas sagen?«

Er hörte nicht. Tränen strömten ihm über die Wangen, während er sich auf das Bett setzte und Andros Kopf auf den Schoß nahm. »Ich liebte dich so sehr! Lieber, süßer, anbetungswürdiger Andro. Ich war dein Verführer, und jetzt habe ich dich sogar getötet!«

»Liebling?« (Von ihrem Platz auf dem Stuhl aus gesehen, gemahnte mich die Gruppierung von Blaine und Andro auf dem Bett an eine äußerst pietätlose Pietà.)

»Ach, ich bin ein unwürdiger und erbärmlicher Humanist gewesen!«

»Liebster?«

»Herr, vergib mir. Herr, vergib mir! Was?«

»Ich schlage vor, daß du ihn wiederbeleben läßt.«

»Wozu?« Seine Stimme klang matt, erloschen.

»Um ihn unter T-Max zu befragen, selbstverständlich. Er kennt sämtliche Details der Verschwörung, oder nicht? Wären das nicht unschätzbare Informationen für dich?«

»Zu spät. Ich habe ihn exterminiert.«

»Nicht doch. Du selbst hast eine Asphyxie überlebt. Allerdings, je länger wir reden, desto geringer …«

»Du hast recht!« Er setzte sich auf; Andro rutschte von seinem Schoß. »Ich war zu voreilig mit meiner Trauer. Ruf die Paramedics! Sie sollen ihn in einem Kryogenbeutel ins Krankenhaus transportieren. Oder lieber ins Reha-Zentrum?«

»Das Krankenhaus«, entschied die First Lady. Sie stand bereits beim Telefon. Die Hand über die Sprechmuschel gelegt, fügte sie hinzu: »Das Reha-Zentrum wäre nicht sicher, Liebling. Die AÜ könnte Wind davon kriegen.«

»Ja. Stimmt. Klug überlegt, meine Liebe. Der Kommandant könnte sehr wohl ein Mitverschwörer sein.« Behutsam nahm er das Gesicht seines ermordeten Dieners zwischen die Hände und hauchte ihm einen zarten Kuß auf die Lippen. »Mit Gottes Hilfe wird er mir wiedergegeben werden.« Dann hob er seine nicht unerhebliche Bürde vom Bett – das Kreuz nahm er auf sich – und wankte damit zur Tür. Doch die First Lady ermahnte ihn, sich nicht zu einem derart blasphemischen und melodramatischen Spektakel hinreißen zu lassen. Es wäre falsch, ganz falsch, warnte sie, wegen der Termination eines Stabschefs ein solches Aufheben zu machen, auch nur vor den Dienstboten. Sollten die Leibwächter ihn wegschaffen, während er mäßiges Interesse vortäuschte. Davon abgesehen, durfte der Leichnam nicht unbekleidet vorgefunden werden. »Ja, ja, natürlich«, murmelte Blaine, und da es auf jede Minute ankam, fand er sich sogar bereit, ihr zu helfen, den Toten anzukleiden. Dann schickte er sie aus dem Zimmer, um die Wachen zu rufen unter dem Vorwand, die Einheit hätte mitten in einer nächtlichen Sitzung einen Systemzusammenbruch erlitten. Sie wurden angewiesen, ihn auf das Dach zu tragen, wo in wenigen Minuten die Paramedics landen würden.

Kaum waren sie gegangen und ihre Schritte im Flur verhallt, als Angelika ihn drängte, eine sofortige Pressekonferenz einzuberufen. Dank Andros Perfidie bot sich ihnen jetzt die Gelegenheit, die Idee von der Smedly-Verschwörung in die Tat umzusetzen. Sie wollte bereitwillig bezeugen – unter Tränen und scheinbar nur widerstrebend –, daß Andro während des Krankenhausaufenthalts nach der Concordia-Tragödie an sie herangetreten war und sie in die Verschwörung einbezogen hatte. Blaine stimmte dem Plan begeistert zu und nannte ihn brillant, ohne zu merken, daß es seine eigenen Gedanken waren, die ihm in überarbeiteter Form von dem First Lady-Programm präsentiert wurden. Doch um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – sie hatte das Problem der Kontaktaufnahme gelöst, an dem Blaine gescheitert war.

In merklich gehobener Stimmung äußerte Blaine, daß die Enthüllung ihm den Vorwand lieferte, Smedly und seine Anhänger dingfest zu machen und mit ihnen all seine anderen politischen Gegner. Stracks setzte er sich über das Armbandtelefon mit dem Kommandanten der Palastwache in Verbindung und befahl ihm, sofort mit den Verhaftungen zu beginnen. Angelika hatte ihn davor gewarnt, die Aufgabe General Harpi zu übertragen, dessen Loyalität und die seiner Truppen nicht mehr zweifelsfrei gewährleistet waren. Nachdem er seine Anweisungen erteilt hatte, hing Blaine mit vor Aufregung rotem Gesicht laut seinen Gedanken nach: »Sobald Smedly im Gefängnis sitzt, werde ich ihm T-Max verabreichen lassen und seine Informationen mit denen Andros vergleichen – bestimmt ist der Gesamtplan fragmentalisiert worden, und nur so erhalten wir ein vollständiges Bild.« Er fuhr zu der First Lady herum und ordnete an: »Du wirst der Presse gegenüber erklären, daß du nicht nach Horizont entführt wurdest, du bist mit Andro hingeflogen, um die Aquarier vor der bevorstehenden Invasion zu warnen. Du wirst sagen, daß jeder Zwischenfall, der seither meine Regierung betroffen hat, inszeniert wurde – von Smedly und der RAG, als Rache für Horizont und um in Frontera die Macht zu ergreifen.« Sie antwortete mit der Standarderwiderung. Außerordentlich zufrieden mit sich selbst, schlug er die Hände zusammen und richtete den Blick himmelwärts. »Wie überrascht Micki wäre zu sehen, wie geschickt ich mich aus dieser verfahrenen Situation befreit habe. Sein Glauben an mich soll nicht enttäuscht werden!«

»Und, Liebster«, warf die First Lady ein und legte ihm eine verständnisvolle, ermutigende Hand auf die Schulter. »Sobald du die Opposition in die Schranken verwiesen hast, kannst du Andro zur Rehabilitation schicken. Wenn er zurückkommt, ist er so gut wie neu.«

»Hoffen wir, daß es so sein wird. Komm, Angelika. Es gibt noch viel zu tun.«

Exeunt der Präsident und die First Lady

 

Mein Leben als Androidin
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